Dufte Sache | Quality Magazine
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Dufte Sache

Interview mit Duft- und Riechexpertin Sissel Tolaas von Katharina Krawczyk

Seit über 20 Jahren untersucht Sissel Tolaas die Welt der Düfte und verhilft dem Geruchssinn zu neuer Aufmerksamkeit. Die gebürtige Norwegerin kollaboriert sowohl mit den Wissenschaften, als auch mit Museen und der Parfumindustrie und ist heute eine Koryphäe auf diesem Gebiet. Wir sprachen mit der vielfach ausgezeichneten Duftforscherin und Künstlerin in ihrem beeindruckenden Berliner Laborüber Seifen mit Schweißgeruch, Käse aus menschlichen Bakterien und unsere überparfümierte Welt.

Plakat im Office von Sissel Tolaas; Foto: Christian Schwarzenberg

Plakat im Office von Sissel Tolaas; Foto: Christian Schwarzenberg

Frau Tolaas, unsere Nase istwohl das Stiefkind unter denSinnesorganen. Wir verfügen über Aufschreibesysteme für Töne,und können visuelle Eindrücke vielfach festhalten und reproduzieren. Düfte allerdings verfliegen genauso schnell wie sie gekommen sind und wir können sie meist nur vage beschreiben und erinnern. Wir sitzen hier in Ihrem Berliner Labor umgeben von tausenden von Düften.Wie fangen Sie Gerüche ein?

Früher habe ich die Quelle der Gerüche selbst gesammelt und versucht deren Moleküle zu kopieren. Heute arbeite mit einer großartigen Vorrichtung, der Headspace Technologie, die mir hilft vor Ort die Gerüche einzufangen und sie in ihre einzelnen Bestandteile zu zerlegen. Danach werden sie im Labor identifiziert und somit kann ich sie endlos reproduzieren.

Wie funktioniert unser Duft-Gedächtnis?

Es ist sehr effizient. Wenn Leute hören was ich mache, dann sagen sie sofort: ich erinnere mich an den Duft meiner Kindheit! Wenn wir etwas zum ersten Mal riechen, bleibt das für immer. Ob wir diesen Geruch in diesem Moment mit einer für uns angenehmen oder unangenehmen Erfahrung abspeichern, bestimmt für den Restunseres Lebens wie wir diesen Duft empfinden werden. Außer wir versuchen das im Nachhinein zu überschreiben. Und genau das mache ich.

Eine wahre Spürnase bei der Arbeit: alles kann verwertbar und wertvoll sein; Foto: Christian Schwarzenberg

Eine wahre Spürnase bei der Arbeit: alles kann verwertbar und wertvoll sein; Foto: Christian Schwarzenberg

Sie haben sich also im Laufe der Zeit den Ekel vor bestimmten Gerüchen abtrainiert?

Ich stecke seit Jahren meine Nase in so viele verschiedene Sachen, dass ich nichtmehr bewerte. Für mich ist ein Duft ein Duft und es spielt keine Rolle was es ist. Ekel ist eher eine physische als eine emotionale Reaktion. Ich versuche mich emotional zurückzunehmen. Das ist reines Training. Wenn wir täglich Sachen anschauen entwickeln wir auch eine gewisse Toleranz. Es kommt darauf an, wie wir unsere Sinne gebrauchen wollen. Wir sind mit einer wunderbaren Software ausgestattet, aber wir benutzen nur einen oder maximal zweiunserer Sinnesorgane. Und es wäre doch wirklich schade, wenn wir unsere Nase nur zum Atmen gebrauchen würden.

Welche Möglichkeiten bietet uns die Nase?

Für mich ist Geruch in erster Linie Information und nicht Manipulation. Ich reproduziere Düfte aus der Realität, um siebesser zu verstehen. Ob es nun ein Körper, eine Stadt oder eine bestimmte Situation ist – das alles fängt bei der Nase an, nicht beim Auge. Es geht mir letztlich um bessere Kommunikation und Toleranz.

Foto: Christian Schwarzenberg

Foto: Christian Schwarzenberg

Das hört sich an wie ein Gegenmodell zu unserer stark visuellen Welt.

Absolut! Aber die Augen bestätigen uns ja immer nur das, was die Nase uns vorherschon mitgeteilt hat. Wir speichern alle Gerüche direkt ab. Wir fangen damit ja bereits im Mutterleib an. Aber leider nutzen wir nur 20% dieses Gedächtnisses. Die Frage ist also, wie wir das ausweiten können. Wir müssen schon im Kindergarten damit anfangen. Ich mache hier einmal in der Woche Workshops mit Kindern.

Sie haben Gerüche ganzer Städte untersucht. London, Berlin, Oslo, Kansas City …

Momentan arbeite ich an Grönland und Kalkutta. Stellen Sie sich vor, wir würden all die hässlichen Gebäude oder Geräusche einer Stadt entfernen – wir könnten uns nicht mehr richtig zurechtfinden. Aber Gerüche werden einfach übertüncht! In Brüssel z.B. ist es nicht so. Das ist unglaublich! Ich habe komplett vergessen, dass eine Stadt so riechen kann. Ich würde sofort dort arbeiten wollen.

Foto: Christian Schwarzenberg

Foto: Christian Schwarzenberg

Wie würden Sie den Duft des 21. Jahrhunderts beschreiben?

Schwierige Frage – es gibt so viele Düfte. Da kann ich nicht einen bestimmten herausgreifen. Bemerkenswert finde ich, dass die Menschen heute sich immer mehr bewusst werden, dass man nicht allesverschleiern kann, denn uns geht sonst soviel an Information verloren. Es ist paradox, dass das Wissen um unsere Düfte dazu benutzt wird, um diese wieder zu kaschieren.

…das gesamte Interview und weitere spannende Themen wie “Dem Licht entgegen – Gino Sarfatti, der Meister des modernen Lichts”, “Es gibt sie doch, die Heinzelmännchen – der stille Service im Hause Kempinski” lesen Sie in Ausgabe 32 ‘Quality Artefact’.